Reinhard Hillebrand Rechtsanwalt

Kleine Geschichte der Spandauer Rechtsanwaltschaft

 

 

Vom Mittelalter bis in die Gegenwart war für die Spandauer Rechtsanwaltschaft ein langer Weg zurückzulegen, der über Tiefen und Höhen führte.

 

I.Mittelalter

 

Mit der Gründung der Stadt Spandau im Jahre 1232 war die Einrichtung eines Stadtgerichtes verbunden. Maßgebend war das Recht der Stadt Brandenburg, die wiederum mit dem Recht der Stadt Magdeburg belehnt worden war. Zurückgegriffen wurde hauptsächlich auf den Sachsenspiegel, eine um 1220 entstandene Sammlung von sächsischem Gewohnheitsrecht, der in Preußen bis 1794, in Deutschland teilweise bis 1900 angewendet wurde. Örtlich zuständig war das Stadtgericht für den räumlichen Bereich, der in der Stadtgründungsurkunde des Jahres 1232 festgelegt worden war. Vorsitzender der Stadtgerichts war der auch Schultheiß genannte Schulze, der die Prozeßleitung innehatte und dessen Amt grundsätzlich vererblich war. Für die Rechtsfindung berufen waren Schöffen, d.h. aus der städtischen Oberschicht stammende Männer, welche die eigentlichen Richter waren. Die neben dem Stadtgericht vom Landesherrn zur Rechtsprechung eingesetzten Vögte wurden spätestens im 14.Jahrhundert aus der Stadt verdrängt. Nicht dem Stadtgericht unterworfen waren Adlige, Geistliche, Juden, in späteren Jahrhunderten bis 1849 auch weitere Personengruppen der gehobenen Stände wie Beamte, deren Gerichtsstand erstinstanzlich das Kammergericht war. In schwierigen Rechtsfragen wurde der Schöppenstuhl in der Stadt Brandenburg angerufen, den bis 1723 auch erstinstanzliche Gerichte einschalten konnten, wobei 1736 noch einmal vorübergehend eine Ausnahmeregelung für Einzelrichter in Zivilsachen geschaffen wurde, weil diese häufig „dem Wercke nicht gewachsen sind“; der Schöppenstuhl wurde 1817 endgültig aufgelöst. Vor den Toren der Stadt Spandau im Bereich der heutigen Straße An der Kappe befand sich das Hochgericht, auf dem Hinrichtungen vollzogen wurden.

 

Das Verfahren war sowohl in Straf- als auch in Zivilverfahren stark formalisiert und spielte sich an den regelmäßig abzuhaltenden Gerichtstagen in mündlicher Rede ab. Für einen Prozeßerfolg war von ausschlaggebender Bedeutung, dem Gericht die passenden Fragen vorzulegen. Einer Partei konnte es daher nützlich erscheinen, vielleicht sogar für sie von entscheidender Bedeutung sein, sich eines Vertreters zu bedienen. In germanischer Tradition standen ehrenamtlich tätige Vorsprecher, d.h. Männer, die vor Gericht traten, um für die Partei zu reden. Eine andere Funktion hatten sogenannte Ratgeber oder Warner, die hinter den Schranken des Gerichts Hinweise für die Parteien gaben. Vorsprecher und Ratgeber wird es in Spandau wie in jeder anderen mittelalterlichen deutschen Stadt gegeben haben. Im Zusammenhang mit der Kirchengerichtsbarkeit traten erstmals  Advokaten in Erscheinung, die zunächst gelehrte Geistliche waren. Eine bedeutende Änderung brachte die Verbreitung des römischen Rechts in Deutschland mit sich, das sich bis zum Anfang des 16.Jahrhunderts durchsetzte. Es bildete sich eine Unterscheidung aus zwischen Advokaten, die außergerichtlich arbeiteten, und Prokuratoren, die Prozesse betrieben.

 

Im Jahre 1415 wurde Friedrich I. (1371-1440) erster Kurfürst aus dem Geschlecht der Hohenzollern, und seine Nachfolger bestimmten weitere 503 Jahre lang im Kurfürstentum Brandenburg, dann ab 1701 im Königreich Preußen und schließlich seit 1871 im Kaiserreich Deutschland die Regeln der Politik. 

 

Nachdem für die vorherige Zeit nur vermutet werden kann, an welchem Ort die Rechtsprechung in Spandau ausgeübt wurde, entstand in den Jahren vor 1436 das Rathaus an der Südwestecke des Marktplatzes, und an dieser Stelle bzw. in den Nachfolgebauten befand sich bis 1854 auch der Sitz des Spandauer Stadtgerichtes.

 

Bis zum Ende des 15.Jahrhunderts ist weder etwas von Advokaten noch von Prokuratoren in Spandau bekannt. Alleine ehrenamtlichen Beistand wird es regelmäßig vor Gericht gegeben haben durch Personen, die sich neben ihrem Hauptberuf einige Rechtskunde angeeignet hatten und ihren Mitbürgern hilfreich zur Seite stehen wollten.

 

II.Vom Zeitalter der Reformation bis 1713

 

Hand in Hand mit der Reformation ging die Einführung des römischen Rechts im Kurfürstentum Brandenburg. Die Kunst des Buchdruckes half, die Kenntnis von den kirchlichen und rechtlichen Lehren bekanntzumachen. Das Reichskammergericht entstand 1495 und blieb bis 1806 tätig, das Kammergericht in Berlin wurde 1515 zur Dauereinrichtung. Eine erste Entscheidung des neuformierten Kammergerichts betreffend Spandauer Verhältnisse ist aus dem Jahre 1520 überliefert. Gesetze wie in Brandenburg die erbrechtliche Constitutio Joachimica im Jahre 1527 oder auf Reichsebene die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. im Jahre 1532 setzten neue Regeln. Ohne die Rechtswissenschaft an einer Universität studiert zu haben, wurde eine Vertretung in Rechtsangelegenheiten kaum noch möglich. In Frankfurt/Oder wurde 1506 durch Kurfürst Joachim I. (1484-1535) die erste Universität in Brandenburg gegründet, und Universitäten kamen neben dem Schöppenstuhl auch für die Einholung von Rechtsbelehrungen in laufenden Prozessen in Frage. Außerdem wurde der Schwerpunkt von Gerichtsprozessen auf das schriftliche Verfahren gelegt, wenn auch am wenigsten vor erstinstanzlichen Stadtgerichten. Die geistliche Gerichtsbarkeit verschwand mit Ausnahme von einigen Zuständigkeiten des Konsistoriums, und das Stadtgericht wurde alleine befugt, Testamente seiner Rechtsunterworfenen aufzunehmen. Eine Anknüpfung an mittelalterliche Rechtsvorstellungen stellten die Hexenprozesse dar, deren erster nachgewiesener Fall aus Spandau vom Jahre 1529 datierte, und die in Brandenburg-Preußen in ihrer konventionellen Form bis in die ersten beiden Jahrzehnte des 18.Jahrhunderts hinein durchgeführt wurden.

 

Spandau hatte am Anfang des 16.Jahrhunderts rund 2.000 Einwohner, und die Zahl kletterte bis zur Mitte des Jahrhunderts auf etwa 3.000 Personen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entstand am östlichen Rand der Stadt die Zitadelle, welche für das überregionale Erscheinungsbild der Stadt lange Zeit prägend wurde, zumal dort auch Tausende von bekannten und weniger bekannten Gefangenen untergebracht wurden. Mehrfache Ausbrüche der Pest machten der Bevölkerung zu schaffen. Einen schweren Einschnitt bedeutete der dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648, nach dessen Ende ein langwieriger Wiederaufbau des Landes nötig wurde. Ein stehendes Heer wurde eingerichtet, und Spandau wurde Festungs- und Garnisonsstadt. Soldaten waren der Zuständigkeit des Stadtgerichts entzogen. Den Marktplatz schmückte mehr als anderthalb Jahrhunderte lang von mindestens 1645 bis in die ersten Jahre des 19.Jahrhunderts hinein ein Galgen, der zur allgemeinen Abschreckung sowie zum Aufknüpfen von Deserteuren bestimmt war. Ebenfalls nicht dem Stadtgericht unterstanden die Hugenotten, von denen Spandau in den Jahren von ungefähr 1689 bis 1735 eine kleinere Gemeinde aufnahm. Im Jahre 1687 entstand das Spandauer Zuchthaus, das fast zwei Jahrhunderte lang neben der Zitadelle zum zweiten Aushängeschild der Stadt wurde.

 

 

Das Stadtgericht folgte den geänderten Rahmenbedingungen, die sich durch das römische Recht und seine Folgeerscheinungen ergaben. Die Gerichtsbarkeit wurde kapitalistisch. Der Schulze bzw. Schultheiß wurde allmählich von einem studierten Berufsrichter verdrängt; weil die Juristen kostspielige Dienste verrichteten und ihre Zahl begrenzt war, dauerte es eine Weile, bis sie sich von Berlin aus in den anderen Städten des Landes verbreiten konnten. Richter und Schöffen begannen, auch wenn sie keinen Hochschulabschluß hatten, ein Entgelt für ihre Bemühungen zu beanspruchen, und das Stadtgericht wurde vornehmlich deshalb interessant, um Einnahmen zu erzielen. Die Erben des letzten Schulzen Siegmund Weyer verkauften 1539 das Amt an die Stadt Spandau, und 1548 wurde das Geschäft vom Kurfürsten genehmigt; betroffen war ein Drittel der Gerichtseinnahmen, während die anderen zwei Drittel dem Landesherrn zustanden. Von 1551 bis 1574, ab 1606 für 20 Jahre und dauerhaft seit 1631 wurden gegen eine Ausgleichszahlung auch die übrigen zwei Drittel seitens der Stadt gepachtet, denn die Kurfürsten waren wegen ihrer ständigen Geldverlegenheit zur Übertragung von Rechten bereit, wenn nicht geradezu gezwungen.   Bis 1809 blieb, wenngleich mit mehrfach angepaßten finanziellen Konditionen, diese Vereinbarung im Grundsatz bestehen, so daß nach außen hin Spandau die gesamte Gerichtsbarkeit auf der städtischen Stufe selbständig ausübte. Erster gelehrter Jurist in Spandau war der Licentiat Caspar Wiederstadt von Offenburg, der von 1536 bis 1540 Stadtschreiber war. Sein Nachfolger, der Stadtschreiber Andreas Forbiger von der Mittweide, der später auch Stadtrichter war, faßte in der Zeit um 1541 das in Spandau geltende Gewohnheitsrecht in einer Polizeiverordnung zusammen. Abweichungen vom mäßigen, anständigen und gottgefälligen Leben wurden in dieser Satzung unter Strafe gestellt; es hatte, wer „aus Verachtung“ während der Zeit der Kirchenpredigt spazieren ging oder in Schenken saß, vier Groschen zu zahlen oder einen Tag im Gefängnis zu sitzen, wer Streitigkeit wegen Nichtigkeiten anfing, „den andern gröblich an Ehr und Glimpf antastet“ und „daraus der Obrigkeit viel Mühe und Unlust verursachet“, hatte zwei Wispel Hafer zu zahlen oder mußte „wie vor alters, die Steine in der Stadt umtragen, und Wer zu Rathhause oder sonst vor dem Rath den Andern mit Worten angreift, Lügen straft, u. groß Geschrei hat, soll von Stund an vom Rathause in Gehorsam gehen u. acht Tage darinnen seyn“. Wegen unzureichender Besoldung waren nicht alle Richter abgeneigt, sich Zuwendungen durch Prozeßparteien darreichen zu lassen, und Bestechlichkeit war noch zwei Jahrhunderte lang ein Hauptübel innerhalb der Justiz. Von Staats wegen vorgeschrieben war eine wissenschaftliche Vorbildung von Stadtrichtern bisher nicht. Im Jahre 1603 wurde in Spandau das Amt des Gerichtsdieners geschaffen und dessen Stelle, die zwischenzeitlich eingegangen zu sein scheint, im Jahre 1717 erneuert. Ende des 17.Jahrhunderts wurden auf einigen Rechtsgebieten neue Gesetze erlassen, u.a. wurden die 1693 für Berlin eingeführten Grundbücher 1722 für das gesamte Land vorgeschrieben.

 

Die Anwaltschaft erlebte einen Entwicklungssprung. Wer vor Gericht gehen mußte, für den war der Gedanke unangenehm, alleine wegen fehlenden rechtskundigen Beistandes im Strafprozeß schuldig gesprochen zu werden oder im Zivilprozeß zu unterliegen. Ein ähnliches Interesse galt für die außergerichtlichen Streitigkeiten. Aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit beider Seiten heraus war der Wunsch begründet, qualifizierte Unterstützung zu erhalten; wenn die eine Seite sich durch einen gelehrten Juristen vertreten ließ, wollte die andere Seite nicht dahinter zurückbleiben.

 

Das klassische römische Recht hatte die Möglichkeit anerkannt, einen Prozeß durch einen Bevollmächtigten (procurator, vorher cognitor genannt) zu führen. Er wurde, wie es in den „Institutionen“ des Gaius hieß, „nicht mit bestimmten Worten in den Prozeß eingeführt, sondern er wird durch bloßen Auftrag, auch in Abwesenheit und ohne Kenntnis des Gegners, eingesetzt.“ Zur Zeit der Republik waren Gerichtsredner (oratores) wie Cicero und viele andere aufgrund ihrer Beredsamkeit gefeiert. Neben ihnen beriet der Anwalt (iurisconsultus oder advocatus) die Partei außergerichtlich und vertrat sie auf Wunsch auch vor Gericht. In der Kaiserzeit setzte sich der berufsmäßige Advokat durch, der Vertreter in allen Rechtsfragen war und in dessen Aufgabengebiet alle bisherigen Tätigkeiten zusammenflossen. Anwälte verbreiteten sich zu Beginn der Neuzeit mit der gleichen Geschwindigkeit, in der sich das römische Recht in Deutschland durchsetzen konnte. Ein Universitätsstudium wurde notwendig, um die Regeln des Rechts zu erlernen, doch waren weder Dauer oder Inhalt des Studiums noch eine Abschlußprüfung vorgeschrieben. Im Land Brandenburg traten erstmals vor dem sich zum Kammergericht entwickelnden Hofgericht des Kurfürsten sogenannte procuratores auf, die geschäftsmäßig gegen Entgelt das Betreiben von Prozessen übernahmen und in denen sich Eigenschaften des deutschrechtlichen Vorsprechers erhielten.

 

Die Unterscheidung zwischen Advokaten und Prokuratoren, die aus dem kanonischen Recht in die weltlichen Ordnungen eingegangen war, hat sich in Brandenburg erst im 16.Jahrhundert gezeigt. Advokaten konnten beraten und Schriftsätze fertigen, durften aber nicht vor Gericht auftreten. Demgegenüber konnten Prokuratoren darüber hinaus auch Prozeßhandlungen gegenüber dem Gericht vornehmen und sie hatten, falls ein Schriftsatz vom Advokaten an das Gericht gelangen sollte, diesen zu prüfen und zu unterzeichnen. Die Zahl der Prokuratoren wurde gewöhnlich begrenzt, während die Zahl der Advokaten, für die eine Zulassung zur Prokuratur einen erstrebenswerten beruflichen Aufstieg darstellte, unbeschränkt war. In der Kammergerichtsordnung von 1516 waren die Rechte und Pflichten der Advokaten und Prokuratoren sowie deren Eid geregelt; dazu gehörte das Gebot, es „sollen auch keine Redner, Advocat oder andere Unsern Richtern oder Beysitzern höhnlich unbescheidentliche oder schnützliche Worte fürbringen, sie oder die part damit zu belästigen, bey unser Ernstlichen Straffe.“ Von der Vertretung ungerechter Sachen sollten die Anwälte durch die Richter abgehalten werden: „Wo auch Richter und Beysitzer zur Zeit würden vermercken, daß jemand aus den Advocaten oder Rednern ungegründete Sachen annehmen, damit Sie die part in Beschwerheit Gezenck und Unkosten furten, daß Sie mit ihnen fleißiglich reden und handeln auch gut Einsehen haben, dadurch es ihnen bey Vermeidung Unser Ungnade und schweren Straffe verblieb.“ Derjenige Anwalt, der von der Gegenseite Geschenke annahm, um seiner Partei nachteilige Ratschläge zu geben, wurde mit Strafe bedroht. In der Kammergerichtsordnung von 1540 wurde Anwälten im Falle von Pflichtverletzungen angedroht, ihnen von den Richtern die Prokuratur nicht nur für das Kammergericht, sondern für das ganze Land entziehen zu lassen.

 

Die Peinliche Halsgerichtsordnung oder Carolina von 1532 hielt das Amt der „fürsprechen“ für selbstverständlich. Nach Art.88 CCC „soll jedem theyl auff sein begern eyn fürsprech auß dem gericht erlaubt werden, die selben sollen bei jren eyden die gerechtigkeyt und wahrheyt auch die ordnung diser vnser satzung fürdern“. Außerhalb der Schöffenbank gewählte Fürsprecher waren zulässig. Zugleich tat die Carolina einen Schritt zur Trennung der Tätigkeiten des Advokaten und des Richters, indem sie im gleichen Artikel die Regelung aufnahm, wonach Vorsprecher, die auf der Seite des Anklägers tätig gewesen waren, nicht mehr an der Urteilsfindung teilnehmen durften. Eine ähnliche Regelung für den Vorsprecher des Angeklagten gab es dagegen nicht. Die mittelalterliche Idee, das Recht gemeinsam im Zusammenwirken aller Verfahrensbeteiligten zu finden, war noch deutlich wahrnehmbar. In Art.115 CCC wurde ein Prokurator, der „fürsetzlicher geuerlicher weiß seiner parthei, inn burgerlichen oder peinlichen sachen zu nachtheyl, vnd dem widertheyl zu gut handelte“, mit Schadensersatz, Pranger, Halseisen und Ausweisung bedroht. In Strafsachen stand die Inquisitionsmaxime in einem Spannungsverhältnis zur Bestellung eines Verteidigers, weil die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen war und zu diesem Zweck eine Verteidigung des Beschuldigten, der sich in dieser Zeit vom Beklagten zum Angeklagten wandelte, für entbehrlich angesehen werden konnte. In der Carolina erschien die Person eines „Fürsprech aus dem Gericht“ lediglich am letzten Ende des Verfahrens, nachdem das Urteil bereits feststand und nur noch verkündet und vollstreckt zu werden brauchte. Spätere Verfahrensordnungen beschränkten die Verteidigung auf die Akteneinsicht, ein Gespräch mit dem Delinquenten und die Verfassung von Schutzschriften. In Hexenprozessen wurden den Advokaten die Namen von Belastungszeugen vorenthalten und sie hatten sich vorsichtig zu bewegen, um nicht selbst wegen Begünstigung der Ketzerei angeklagt zu werden.

 

Der ehrenamtliche Charakter des Vorsprechers, der vom Gericht bestellt wurde und der objektiven Rechtsfindung verpflichtet war, trat zurück; der bezahlte Parteivertreter, der den subjektiven Interessen seines Auftraggebers auf allen Wegen zum Erfolg zu verhelfen suchte, wurde vorherrschend. In Zivilverfahren erforderte die Berücksichtigung der aus dem römischen Recht übernommenen Vorschriften ebenfalls die Einschaltung fachgelehrter Anwälte. Getrennt wurde auch in Brandenburg zwischen Advokaten und Prokuratoren, wie sich im Entwurf der Kammergerichtsordnung von 1516 zeigte. Advokaten waren für die außergerichtliche Beratung und für die Fertigung von Schriftsätzen zuständig. Prokuratoren übernahmen die Vertretung vor Gericht. Eine Vermischung der Aufgaben beider Berufsstände ist bereits für das Ende des 16.Jahrhunderts anzunehmen. Ihrerseits wurden die Anwälte mit einem Edikt aus dem Jahre 1658 der Strafgewalt des Kammergerichts unterstellt, sofern sie sich vor diesem Gericht nicht an das Gebot respektvollen Verhaltens hielten. Zur Zeit der Einführung der Kammergerichtsordnung von 1709 war die Unterscheidung der Form nach unverändert vorhanden, wenn auch nicht mehr strikt durchgeführt, denn den Parteien war es nunmehr freigestellt, auch vor Gericht ihren Advokaten einzuschalten, und diesem war gestattet, den Prozeß zu betreiben.

 

Ein gewisses Maß von Ansehen, das den Anwälten von der Obrigkeit entgegengebracht wurde, zeigte sich in einer brandenburgischen Verordnung von 1658, die sie von der Pflicht zur Einquartierung von Soldaten und vom städtischen Wachdienst freistellte. Ein Wechsel von der Advokatur in die Stelle eines Richters oder Bürgermeisters war nicht ungewöhnlich. Weil die Fachkunde nicht überprüft wurde, gab es nicht wenige Bürger, die sich die Beschäftigung mit Rechtsstreitigkeiten zum Nebenerwerb wählten; im Jahre 1614 wurde dem Pfarrer in Wulkow vorgeschrieben, er möge sich der „weltlichen Händel... entschlagen“, und im Jahre 1673 erhielt der Kantor in Friesack die Weisung, er solle „der Advocatur sich enthalten“. In der Kammergerichtsordnung von 1709 wurde erstmals eine Prüfung von Advokaten und Prokuratoren vor ihrer Zulassung vorgeschrieben. Die Zahl der Prokuratoren wurde auf 40 festgesetzt, während die Zahl der Advokaten nicht beschränkt war.

 

Der Ruf der Anwälte in der Bevölkerung war selten der Beste und ein schlechter Anwalt war nicht weniger gefürchtet als ein unfähiger Richter. Ende des 15.Jahrhunderts war Sebastian Brant (1457/1458-1510) einer der ersten, der die Absicht der Advokaten darin sah, sie wollten „mit geschwatz/ eyn richter btrugen“. Die kritische Sicht blieb bis in das 18.Jahrhundert vorherrschend. Für Montesquieu (1689-1755) war das Übermaß an Formalitäten des römischen Rechts in der Anwendung durch Anwälte eine Schande für die menschliche Vernunft. Es wurde häufig festgestellt wie durch Freiherr Adolph von Knigge (1752-1796), wie „Dein oder Deines Gegners Anwald ein Mensch ohne Gefühl, ein gewinnsüchtiger Gauner, ein Pinsel, oder ein Ränkeschmidt ist“. Knigge empfahl auch, den eigenen Anwalt um jeden Preis auf seine Seite zu ziehen: „Hat uns aber der böse Feind zu einem Prozesse verholfen, so suche man sich einen redlichen, uneigennützigen, geschickten Advokaten -man wird oft ein wenig lange suchen müssen- und bemühe sich, mit ihm also einig zu werden, daß man ihm, ausser seinen Gebühren, noch reichere Bezahlung verspreche, nach Verhältnis der Kürze der Zeit, binnen welcher er die Sache zu Ende bringen wird!“ Die tatsächliche oder vermeintliche Geldgier der Anwälte und die Übung gegnerischer Anwälte, hinter dem Rücken ihrer jeweiligen Mandanten Einigungen zu deren Lasten zustande zu bringen, waren häufige Kritikpunkte im tatsächlichen Leben und auch auf den Komödienbühnen der Zeit. Kollegialität begann Konkurrenz gegenüberzustehen; im Laufe des 17.Jahrhunderts erschienen die ersten Klagen wegen einer Überfüllung des Juristenstandes. Kurfürst Friedrich III. (1657-1713), der sich 1701 zum preußischen König Friedrich I. krönte, erließ zwischen 1691 und 1706 nicht weniger als acht Edikte, um das überhand nehmende Supplikenwesen und „das Treiben ränkesüchtiger Advocaten“ einzudämmen. Im „Rescript, wie es mit denen Advocaten und Procuratoren zu halten“ wurde im Jahre 1710 angeordnet, „daß bey allen, und jeden Ober- und Unter-Gerichten, ein gewisser geschlossener numerus der Advocaten und Procuratoren gesetzet, und darauf steif, und fest gehalten, auch keiner mehr über die gesetzte Zahl, unter was für einem Prätext es auch immer seyn möge, angenommen werden solle“. Von einer Verminderung der vorhandenen Zahl wurde Abstand genommen, aber dem Kammergericht aufgegeben, „die Advocaten und Procuratoren Sämbtlich vor Euch zu laden, denenselben Unsere allergnädigste Willens-Meinung zu eröffnen, und Sie alles Ernstes dahin anzuweisen, daß sie bey Vermeidung nachdrücklicher Straffe, ihren Clienten keine wiederrechtliche und wieder die Acta lauffende Memorialien aufsetzen, noch darinnen einige Anzüglichkeiten gebrauchen, sondern, ihre Nothdurfft mit Glimpf und Bescheidenheit vorstellen, und alles dasjenige, waß ihr Ambt, und Pflichte, worauf sie geschworen, beobachten sollten.“ Alle Anstrengungen zeitigten wenig Erfolge und dem Nachfolger von Friedrich I. blieb es vorbehalten, durchgreifend gegen die Advokaten vorzugehen.

 

Für Brandenburg-Preußen mit rund 2.000.000 Einwohnern wird für das Jahr 1713 eine Zahl von etwa 1.200 Anwälten angenommen. In Berlin gab es im Jahre 1709, nachdem die bisherigen Stadtteile Berlin, Kölln, Friedrichswerder, Dorotheen- und Friedrichsstadt unter einen einheitlichen Magistrat gestellt worden waren, worauf im nächsten Jahr die Gründung des Berliner Stadtgerichts mit fünf Richtern folgte, für eine Bevölkerung von rund 40.000 Personen insgesamt 28 Advokaten. Im Jahre 1711 wurde in einem Bericht des Kammergerichts die in Betracht gezogene Minderung der Zahl von 30 Advokaten für bedenklich erklärt. Zu dieser Zeit, in der Glückssucher und Scharlatane vom Hofe des Königs magisch angezogen wurden, schwankte die öffentliche Meinung, ob sie die Anwälte für unentbehrlich oder für überflüssig halten sollte, und zwei Jahre später ergriff Friedrich Wilhelm I. nach dem Antritt seiner Herrschaft die Partei gegen den Berufsstand.

 

Die Anfänge der gelehrten Anwaltschaft im Berliner Raum sind aus den Urkunden nicht mit Genauigkeit festzustellen, auch gibt es lediglich einzelne Werke, die sich mit der Erforschung der Anwaltsgeschichte in Brandenburg-Preußen befassen. Spätestens in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts haben sich in Berlin Advokaten etabliert. Ihre Herkunft und Ausbildung war verschiedener Natur; neben gelehrten Doktoren standen Bürgermeister und Ratsleute sowie Männer mit gänzlich ungewissen Rechtskenntnissen. Im Jahre 1578 wurde ein Berliner Advokat namens Magister Mieling erwähnt, der vom Brandenburger Schöppenstuhl zur Strafe des Stäupens verurteilt wurde, d.h. der Anwalt war durch die Stadt mit Rutenschlägen zu treiben, und er „soll darüber vor Gram gestorben sein“; sein Vergehen bestand darin, sich im Stadtgericht „mit ehrenrührigen Worten“ gegenüber den Gerichtsschöffen geäußert zu haben. Der Eid für Anwälte in Berlin, der im Jahre 1657 eingeführt wurde und in dieser oder ähnlicher Form auch in anderen Brandenburger Städten gebräuchlich gewesen sein dürfte, lautete: „Ich schwöre, mich im Gericht der Stadt zum Advokaten und Prokurator gebrauchen zu lassen, meinen Partheien nach meinem höchsten Verstande zu dienen, sie nicht in unnütze Weitläuftigkeiten zu verwickeln, noch im Honorare zu übersetzen, vielmehr die Sachen mit allem Fleiße zur gütlichen und rechtlichen Ausübung zu befördern. Auch will ich vor Rath und Gericht Bescheidenheit üben, mich nach Recht und Billigkeit bekehren lassen, aller Schmähungen und Beleidigungen enthalten, und mich der jetzt gültigen oder später vom Rathe zu verbessernden oder zu publicirenden Gerichtsordnung gemäß verhalten, und den Rath als meinen Patron anerkennen.“

 

In Spandau erschien in der von Pfarrer Daniel Friedrich Schulze (1739-1811) verfaßten Stadtchronik die erste Erwähnung eines Anwaltes im Jahre 1601, und zwar betreffend den „advocat Burchard Rafueß“, der „seit vielen Jahren vom Rath jährlich 35 Thlr. 10 gr. Besoldung“ hatte. Die Liste von Spandauer Neubürgern enthielt diesen Namen nicht. Er dürfte im öffentlichen Interesse tätig gewesen sein, andernfalls wäre die Entlohnung durch den Magistrat merkwürdig, die grundsätzlich ein Dienstverhältnis mit der Stadt voraussetzte. Daneben wird Rafueß der ratsuchenden Bevölkerung zu Diensten gewesen sein. Das für ihn ausgesetzte Gehalt war höher als dasjenige des Stadtrichters Johann Schmidt, der im Jahre 1602 eine Besoldung von 30 Talern erhielt. In späteren Jahren war von Rafueß in der Stadtchronik nicht mehr die Rede. Während des dreißigjährigen Krieges und in den ersten Jahren danach wird eine Niederlassung für einen Anwalt in Spandau nicht lohnenswert gewesen sein. Diesen Rückschluß erlaubt für die Zeit nach 1648 das Beispiel von Joachim Schwerin, der nach einem Jurastudium im Jahre 1668 das Bürgerrecht erwarb, ohne in der Folgezeit im Beruf eines Advokaten, vielmehr ausschließlich mit der Tätigkeit eines ‚Kramers’ Erwähnung zu finden, und der es am Ende seines Lebens im Dienste der Stadt bis zum Kämmerer brachte. Eine Zunahme der Spandauer Bevölkerung wurde in der Chronik der Stadtgeschichte im Jahre 1680 festgestellt: „Jetzt fieng die Stadt erst wieder an volkreicher zu werden.“ Aussicht auf Beschäftigung zog stets Advokaten an. Folgerichtig wurde wenige Jahre danach mit der Bezeichnung „Gerichtsadvokat allhier“ Johann Friedrich Holstein genannt, der zugleich Notar war und 1684 das Bürgerrecht erhielt. Er stammte aus Freystadt/Schlesien, wo sein verstorbener Vater Bürger und Gewandschneider gewesen war. Seine Ansiedlung war ein Zeichen für die substantielle Erholung des Wirtschaftslebens in Spandau nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, denn die Niederlassung eines Advokaten erforderte eine zureichende Aussicht auf Beschäftigung und Entlohnung durch die Einwohnerschaft der Stadt.

 

Außerdem begannen im 16.Jahrhundert in den brandenburgischen Städten Notare tätig zu werden. Notare übten ein öffentliches Amt aus und waren für die Aufnahme und Beglaubigung von Rechtsakten, in erster Linie für die Errichtung von Testamenten, zuständig. Im Mittelalter verrichteten schriftkundige Geistliche die Notartätigkeit, die auch Schreiber und Ratgeber im Dienste weltlicher Herren waren. Die Begriffe Schreiber und Notar waren gleichbedeutend. Später spalteten sich die Funktionen auf; der im Dienste eines einzelnen Herren stehende Schreiber wurde zum Geheimschreiber oder Sekretär und der für die Allgemeinheit zur Verfügung stehende Schreiber wurde zum Notar. Nur der Name, aber nicht die mit ihr verbundene Tätigkeit der Notare stammte aus Rom; dort waren Notarii Schreiber von ‚notae’, d.h. abkürzenden Schriftzeichen. Vorläufer der Notare waren vielmehr die römischen Tabelliones, die auf Straßen und Plätzen ihre Dienste zur Verfertigung von Schreiben an Privatpersonen und für Eingaben an Behörden anboten. Nach Einführung des römischen Rechts richtete sich ihre Arbeitsweise nach der auf dem Kölner Reichstag verabschiedeten Notariatsordnung des Kaisers Maximilian I. aus dem Jahre 1512, der sie die Bezeichnung „notarius publicus caesareus“ zu verdanken hatten. Dieses Gesetz war eines der Elemente, die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bis zu seiner Auflösung im Jahre 1806 im Innersten zusammenhielten. Es galt in Brandenburg-Preußen uneingeschränkt bis 1771. Im 16.Jahrhundert war die gleichzeitige Wahrnehmung der Ämter eines Stadtschreibers, Gerichtsschreibers und Notars nicht unüblich, deren Wortbedeutung häufig ineinander überging. Vielfach waren Notare auch auf Einkünfte aus anderen Berufen angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Namentlich genannt wurde in Spandau im Notardienst zuerst der bereits erwähnte Andreas Forbiger von der Mitweide, der erst von 1540 bis 1563 als Stadt- und Gerichtsschreiber und Notar sowie später auch im Stadtrichteramt tätig war. Notare waren in der Folgezeit auf ihrem Arbeitsgebiet weiterhin ein wichtiges Bindeglied zwischen Bevölkerung und Rechtswesen. Ihre Amtsausübung erschien mitunter wie ein „Hocuspokus“, wenn die vorgeschriebenen und häufig lateinischen Erklärungen wie altertümliche Beschwörungsformeln klangen. Juristischer Sachverstand war in Anbetracht eines mehrjährigen Studiums und einer kurzen Lebenserwartung kostbar und verdiente zum Wohle des Gemeinwesens die bestmögliche Nutzung. Stadt- und Gerichtsschreiber konnten zugleich das Notaramt versehen wie im Falle von Johann Ebel, der in der Stadtgeschichte Erwähnung fand, weil er 1628 mit einer Untersuchung gegen den Rittmeister Friedrich von Goeze beauftragt war, dem von Seiten der kaiserlichen Truppen vorgeworfen wurde, mit den Schweden im geheimen Einverständnis zu stehen. Auffällig ist, wie das Notaramt häufig am Beginn des Berufsweges stand, indem juristische Neulinge, bevor sie für weitere städtische Aufgaben herangezogen wurden, sich mit Rechtsangelegenheiten der Bevölkerung befassen durften. Es hatte in Spandau Christian Ungnade anfangs die Tätigkeit eines Notars ausgeübt und er war anschließend ab 1637 zwanzig Jahre lang Bürgermeister. Der Bürgermeistersohn George Neumeister jr. hatte zuerst im Notaramt gewirkt und wurde 1671 Ratsherr, 1685 Bürgermeister und ab 1698 in mehreren Jahren auch Richter. Ebenso war Johann Friedrich Herz, bevor er 1705 Stadtschreiber, 1714 Ratsherr, 1716 Bürgermeister und 1718 Richter wurde, am Beginn seiner Laufbahn Notar. Durch den jährlichen Wechsel in den Ratsämtern kam es vor, in einem Jahr Bürgermeister und im nächsten Jahr Notar zu sein, wenn diese Qualifikation vorhanden war, wie sie George Neumeister jr. hatte, der im Jahre 1686 regierender Bürgermeister und im darauffolgenden Jahre 1687 Notar war.

 

III.Von 1713 bis 1815

 

Mit König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) regierte ab 1713 ein Herrscher, der mit aller Energie sein Land vorwärts bringen wollte und vor radikalen Schritten nicht zurückschreckte. Der Armee galt das Hauptaugenmerk des Königs. Im Jahre 1713 lebten in Spandau 3.144 Menschen, womit die Zahl nicht höher war als vor Beginn des dreißigjährigen Krieges. Der König sorgte 1722 für die Ansiedlung einer Gewehrfabrik in Spandau. Unter den Bewohnern der Stadt war 1723 der Ackersmann Martin Friedrich Albrecht, ausweislich des von Joachim Pohl herausgegebenen Einwohnerkatasters „ein alter, verdorbener notarius publicus“, der „ein capricieuser Kopf, eigensinnig und verdrießlich und sogar incorrigibel“ genannt wurde. Nach dem Verzeichnis der Stadtbevölkerung von 1732 gehörten Stadtrichter Johann Friedrich Herz, Gerichtsaktuar und Stadtsekretär Johann Gottlieb Ritter sowie Gerichtsdiener Otto Friedrich Winkel zum Personal des Stadtgerichts, und die fünf Schöffen waren der Materialist Daniel Wilcke, der Chirurgus Johann Gotthilff Ritter, der Kürschner Johann Christian Kresse, der Nadler Johann Caspar Rathenow und der Glaser Johann Burgefeldt.

 

Die Verbesserung der Justiz war ein Hauptanliegen des Königs. Langsame Erledigung von Prozessen, schlechte Arbeit von Richtern und Überfüllung des Anwaltsstandes führten aus allen Teilen des Landes zu Beschwerden. Von Seiten des Gesetzgebers wurde u.a. für Strafsachen die Kriminalordnung von 1717 und in Zivilprozessen ein Edikt von 1739 für ein vereinfachtes Verfahren bei geringen Streitwerten geschaffen. Alle Urteile in Hexenprozessen waren seit 1714 dem König vorzulegen, der seine Ablehnung gegenüber derartigen Verfahren erkennen ließ. An die Auswahl der Richter wurden erhöhte Anforderungen gestellt; da Großkanzler Samuel von Cocceji (1679-1755) im Jahre 1737 in einer Denkschrift an den König u.a. die „Annahme untüchtiger nichtgelehrter Unterrichter“ zu den Ursachen des weiterhin schlechten Zustandes der Justiz gezählt hatte, wurde im gleichen Jahr eine Prüfungsordnung erlassen, die das Bestehen einer Prüfung vor dem Kammergericht zur Voraussetzung für die Übertragung eines Amtes an Stadtgerichten erklärte. Seit 1718 unterblieb in Spandau der jährliche Wechsel im Richteramt; Stadtrichter war bis zu seinem Tode am 25.November 1741 Johann Friedrich Herz, dem das unmittelbar südlich an das Zuchthausgebäude angrenzende Grundstück in der Potsdamer Straße gehörte.

 

Noch weitergehenden Maßnahmen wurden die Anwälte unterzogen. Im Jahre 1713 entließ der König von rund 1.200 Advokaten und Prokuratoren im gesamten Land etwa 720 von ihnen aus Amt und Würden, die sich einen anderen Beruf zu suchen hatten. Nicht mehr zugelassene Anwälte, die trotzdem ihre Tätigkeit fortsetzten, „sollen gebrant-Marg werden und ewig in die Karre gespannt werden“. Bis zur Einführung der freien Advokatur im Jahre 1879 blieb die Zahl der Anwälte in Preußen begrenzt. Die verbliebenen Anwälte hatten durch ein „Patent“ des Landesherrn ihre fortdauernde Zulassung zu erkaufen. Anwälten an den Appellationsgerichten wurde gestattet, vor den Stadtgerichten aufzutreten. Es wurde zum Ziel der Bestrebungen erhoben, Prozesse innerhalb eines Jahres abzuschließen. Anwälte, die grundlos Richtern Rechtsbeugung vorwarfen, hatten Stäupung und Landesverweisung zu erwarten. Für die Zulassung zur Anwaltschaft wurden erstmals landesweite Anforderungen aufgestellt. Der Bewerber hatte eine anständige Herkunft, ein Studium an einer Universität und eine Vorbereitungszeit bei einem Advokaten nachzuweisen sowie eine Prüfung durch das Justizkollegium, an dem er angestellt werden wollte, zu bestehen. Zugleich wurde über die erst für Berlin gültige und dann ab Anfang 1714 in ganz Preußen verbindliche Berufskleidung zum Entsetzen der Betroffenen verordnet: „die atvocatten sollen schwartz gehen mit ein Mentelchen biss an die Knie. Die Procuratores einen schwartzen Rogk ohne mantell mit einer rahbat das auf die brust gehet“. Zuwiderhandlungen sollten mit „karren“, d.h. Festungshaft mit Zwangsarbeit, bestraft werden. Historisch nicht belegt ist die Äußerung des Königs, die Kleidung diene dazu, „damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten könne“. Anwälte wurden mit einem solchen Gewand „in Berlin zu lächerlichen Figuren.“ Bis zum Jahre 1780 blieb diese Tracht verbindlich.

 

Nach diesem Einschnitt gab es in Spandau mehr als ein Jahrhundert lang keinen Anwalt mehr. Wer Student war und von der juristischen Fakultät einer Universität abging, kam in Preußen zur Zeit Friedrich Wilhelms I. nicht mehr ohne weiteres in einen Rechtsberuf und hatte sich in vielen Fällen eine andere Lebensstellung zu suchen wie in Spandau z.B. Balthasar Andreas Bracht, der in Helmstedt Jura studiert hatte und von 1725 bis zu seinem Tode im Jahre 1729 das Küsteramt an der Nikolaikirche bekleidete.

 

An preußischen Untergerichten wurde es wieder üblich, Prozesse ohne Advokaten zu führen. Das Gericht sollte nur mit den Parteien und mündlich, d.h. alleine unter Protokollierung des Vorbringens beider Seiten während der Verhandlung, den Rechtsstreit erledigen. Ansinnen auf Neuzulassung von Advokaten an Gerichtsorten, die seit dem Jahre 1713 ohne Anwalt waren, erhielten vom König Antworten wie die folgende: „es seyn der Schelme so viel, dass ich keine neue machen werde, bis welche sterben“. In einem Edikt von 1723 hieß es versöhnlicher im Ton, aber weiter unnachgiebig in der Sache: „...wann Wir gleich an einigen Orten zuweilen nur einen Advocaten angeordnet, solches keineswegs in der Absicht geschehen daselbst Processe zu führen, sondern bei Errichtung wichtiger Contrakte etc. ... Rath mitzutheilen oder auch als Justitiarios sich gebrauchen zu lassen.“ Richtern wurde verboten, nebenbei dem Anwaltsberuf nachzugehen.

 

Die Unterscheidung zwischen Advokaten und Prokuratoren wurde nach einer Verordnung aus dem Jahre 1725 zunächst für das Kammergericht bedeutungslos, weil ausschließlich Advokaten zur Prozeßführung ermächtigt wurden und die Einrichtung der Prokuratoren zwar nicht abgeschafft, aber ihres Gehaltes entkleidet wurde; durch ein Edikt von 1738 wurde auch für alle anderen Gerichte die Prokuratur aufgehoben.

 

Bis zum Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. standen die Advokaten in allen Berichten, die den schlechten Zustand der Justiz beschrieben, an vorderster Stelle der Ursachen. In einem Edikt von 1739 wurde Advokaten angekündigt, „ohne Gnade und Pardon, mit einem Hunde an der Seiten, aufgehangen“ zu werden, und zwar diejenigen, „welche sich unterstehen, Leute aufzuwiegeln, um in abgethanen und abgedroschenen Sachen“ den König mit Eingaben zu belästigen. Anlaß war die verbreitete Übung, Bittschriften über Soldaten, vornehmlich die dem König nahestehenden ‚Langen Kerls’ der Potsdamer Garde, einzureichen, um die Erfolgsaussichten der Suppliken zu verbessern. Das Edikt war zustandegekommen, nachdem der König auf den von Cocceji vorbereiteten Entwurf eine Zeichnung mit einem Galgen gesetzt hatte, an dem ein Advokat neben einem Hund hing, und Cocceji diese bildliche Darstellung in die Worte des Edikts kleidete. Fälle, in denen das Edikt zur Durchführung gekommen wäre, sind nicht bekannt.

 

König Friedrich II. (1712-1786), der 1740 den Thron bestieg, erreichte mit der Eroberung der Provinz Schlesien, die er in drei Kriegen erfolgreich verteidigte, den Aufstieg Preußens zur Großmacht. Außerdem wurde die innere Kolonisation des Landes vorangetrieben. Im Jahre 1782 gab es in Spandau 4.397 Einwohner. Die Zitadelle Spandau nahm während des von 1756 bis 1763 dauernden Siebenjährigen Krieges in den Jahren 1757 und 1759 kurzzeitig den königlichen Hofstaat auf, und zur Verbüßung ihrer Haft kamen im Jahre 1780 die wegen des Prozesses um den Müller Arnold verurteilten Juristen, zwei Kammergerichts- und drei Regierungsräte sowie ein Justitiar, auf die Festung.

 

 

Die Besoldung des Stadtrichters wurde auf einen festen Satz umgestellt und die Gebührenbeteiligung abgeschafft. Das Richteramt nahm nach dem Tode von Johann Friedrich Herz im Jahre 1741 Johann Martin Kroll bis 1743 wahr, dem anschließend bis 1754 Johann Friedrich Hart und bis 1764 Adam Philipp Wiesenhavern folgten. Im Jahre 1764 bekam der Bürgermeister und spätere Justizrat Gottfried Bernhard Lemcke (1725-1808) die Leitung des Stadtgerichts; er war der erste Richter in Spandau, der sich zwischen seiner Wahl durch den Magistrat und seiner Bestätigung durch den König einer Prüfung durch das Kammergericht zu unterziehen hatte. Visitationen des Stadtgerichts fanden 1769 und 1774 statt. Über die Beurteilung der Spandauer Justiz zur Amtszeit Lemckes stimmt eine Anmerkung  des seinerzeitigen Stadtphysikus Dr.Ernst Ludwig Heim (1747-1834) in einem Brief an seinen Bruder Johann Ludwig Heim (1741-1819) aus dem Jahre 1777 bedenklich; ein Jahr nach der Wahl in sein medizinisches Amt schrieb Dr.Heim, er werde seine für vermögend geltende und in der Stadt wohlangesehene Vermieterin, die ihm einen Sperber erschlagen hatte, nicht vor dem Stadtgericht verklagen, „da die hiesige Justiz nicht einen Schuß Pulver wert ist.“

 

Der spätere Verlauf des 18.Jahrhunderts brachte für die Anwaltschaft zusätzliche Änderungsversuche. In der Öffentlichkeit hatten die Angehörigen dieses Berufsstandes einen weiteren Gipfel ihrer Unbeliebtheit erreicht. In seinem 1782 uraufgeführten Stück „Die Räuber“ konnte Friedrich Schiller (1759-1805) mit Beifall auf offener Szene rechnen, wenn es der Räuberhauptmann gerne selbst übernahm, einen Advokaten zu ermorden, der dem Publikum mit der Bezeichnung „der Schelm, der die Gerechtigkeit zur feilen Hure macht“, vorgestellt wurde. Der Kanzleistil mit seinen Formeln und Floskeln, der sich seit der Einführung des römischen Rechts durch die Schriftsätze zog, gab noch keine Gewähr für einen Erfolg der Sache, und war trotzdem unumgänglich zum Schmuck und Zierrat in einer Zeit, in der Anwälte sich für jedes Schreiben bezahlen lassen konnten. Die bis in die Neuzeit verbreitete Fehlvorstellung, ein Anwalt verdiene an längeren Prozessen mehr als einem kurzen Verfahren und sie verdankten ihren Unterhalt „den Prozeßgespenstern“, wie es der mit der Tochter eines Berliner Obertribunalsrates verheiratete Jean Paul (1763-1825) formulierte, hatte hierin ihren historischen Ursprung. „Weitläuftiges Schreiben der Advokaten“ sollte nach dem gleichen Dichter „zugleich Dummheit und Diebsinn“ bedeuten. Achim von Arnim (1781-1831) ließ eine seiner Romanfiguren sagen: „Ich schwöre dir, daß mich oft, wenn ich für einige elende Zeilen, die eine ganz überflüssige Formalität enthielten, ein paar Taler zahlen mußte, eine Wut packte, das Tintenfaß dem Justizkommissar in die Zähne zu schlagen, oder daß ich jeden Augenblick wartete, ob nicht ein Himmelsstrahl ihn und sein ganzes Geschmiere aufbrennen würde.“ Ein Mann vom Fach wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der selbst in seiner Heimatstadt Frankfurt/Main die Tätigkeit eines Advokaten ausgeübt hatte, bescheinigte den  „Rechtsgelehrten...einen abstrusen Stil, welcher sich...auf die barockste Weise erhielt“.

Die Verbesserung der Anwaltschaft war seit 1740 ein Kernstück der Justizreformen in Preußen durch König Friedrich II., dessen Abneigung gegenüber Anwälten kaum geringer war als diejenige seines Vaters. Im Jahre 1743 hatte Cocceji dem König über die Anwälte berichtet: „Die Advocaten (welche zur Beschleunigung der Justiz das meiste beitragen müssen) sind meistentheils arme, ungelehrte und unerfahrene Leute, welchen keinen Prozess recht einzufädnen wissen und die Unterthanen bis aufs Blut aussagen; wovon die Ursache ist, weil die besten Advocaten wegen des Mantels und des Halstuchs sich losgesaget und auf andere Sache appliciret haben, auch jetzo selten ein capabler Mensch sich dieserwegen zur Advocatur angiebt.“ Friedrich II. urteilte in seiner „Geschichte des Siebenjähriges Krieges“ beiläufig über die Anwälte, sie „trieben mit Treu und Glauben ein schändliches Gewerbe.“ Der Stand der Advokaten wurde in der Folgezeit „von untauglichen oder übel beleumdeten Elementen gereinigt“ und eine Disziplinaraufsicht eingeführt. Die Berufsgruppe der Prokuratoren, die sich anstelle der Advokaten um die Vertretung der Parteien vor Gericht gekümmert hatten, wurde im Codex Fridericianus, der 1748 für das Kammergericht erlassen, aber allen anderen Gerichten in der Mark Brandenburg gleichfalls zur Anwendung aufgegeben wurde, vollständig abgewickelt. Denn nach der Einschätzung von Cocceji in einem Bericht von 1746 waren die Prokuratoren „eine wahre Pest in der Justiz und mehrentheils gewesene Laquaien, welche gleichwohl den ganzen Prozeß dirigiren“. Advokaten sollten soweit wie möglich aus dem Verfahren herausgehalten werden. Umfangreiche Verfahren wurden überwiegend schriftlich, kleinere Verfahren meist mündlich durchgeführt. Gebühren waren den Advokaten erst nach Abschluß der Sache zu zahlen. Für das schriftliche Verfahren waren Advokaten erforderlich, die Anhörung der Parteien geschah jedoch in ihrer Abwesenheit. Dieudonné Thiébault (1733-1807), der im Jahre 1765 nach Berlin kam, beobachtete: „Redekünste sind vor den preußischen Gerichten nicht angebracht, die Advokaten finden daher keine Gelegenheit, durch Beredsamkeit zu glänzen...“. Die Prüfung von Advokaten vor ihrer Zulassung an Untergerichten, für die in der Mark Brandenburg seit 1755 das Kammergericht zuständig war, hatte verringerte Anforderungen und war darauf zu richten, ob sie „Hoffnung von sich geben durch längere Uebung sich zur Advokatur geschickt zu machen“. Auf ihre Herkunft wurde Wert gelegt, denn es sollten „keine Leute von verächtlichem und armseligem Herkommen, auch nicht leicht Handwercker-Kinder, zu Advocaten angenommen“ werden.

Weil die bis dahin durchgeführten Reformen zu keinem besseren Ruf der Anwaltschaft im Prozeßwesen geführt hatten, wurde schließlich eine umwälzende Änderung unternommen. In der spätfriderizianischen Zeit wurde der Stand der Advokaten durch die neue Prozeßordnung, die unter der Anleitung Johann Heinrich von Carmers (1720-1801) vom Oberamtsregierungsrat Carl Gottlieb Svarez (1746-1798) ausgearbeitet und 1781 mit dem Titel „Corpus juris Fridericianum Erstes Buch“ in Kraft gesetzt wurde, umstandslos abgeschafft. Vorangegangen waren Diskussionen des Königs mit seinen leitenden Justizbeamten, in denen der König seine schlechte Meinung von Anwälten zum Ausdruck gebracht hatte. Friedrich II. hatte 1780 die Reformvorschläge Carmers gebilligt, „nicht ohne einen Seitenhieb auf die Advocaten, welche, wenn man die Sache recht betrachte, blos vom Unglück andrer Menschen leben“. In einem Erlaß aus dem gleichen Jahr hatte der König nochmals seinem Unwillen gegenüber den Anwälten zu Papier gebracht: „Es ist wider die Natur der Sache, daß die Partheyen mit ihren Klagen und Beschwerden von dem Richter nicht selber gehört werden, sondern ihre Nothdurft durch gedungene Advokaten vorstellen sollen. Diesen Advokaten ist sehr daran gelegen, daß die Prozesse vervielfältigt und in die Länge gezogen werden; denn davon dependirt ihr Verdienst und ihr ganzes Wohl.“ Der zuvor erhobene Einwand des Großkanzlers Karl Joseph Maximilian von Fürst und Kupferberg (1717-1790), „Durch den Advokaten wird der Richter controllirt, und der Richter hält den Advocat in Zaum, dies stellt die Parthey in Sicherheit“,  konnte Friedrich II. nicht mehr von diesem Schritt abhalten. Das Lob von Voltaire (1694-1778) für seine Maßnahmen hatte er bereits mehr als dreißig Jahre vorher erhalten: „Ich verehre, wie es sich gehört, Friedrich den Großen, der sein Königreich von Advokaten gesäubert...hat.“ An der Stelle der Advokaten entstand die neue Gattung der Assistenzräte, die Staatsbeamte waren und dem Gericht lediglich Hilfestellung leisten sollten, wie es im Vorbericht zur Prozeßordnung beschrieben wurde: „Sie sind also keineswegs Söldner und bloße Sachwalter der Partheyen, sondern Beystände und Gehülfen des Richters; deren Pflicht es wesentlich mit sich bringt, das Gericht in seinen Bemühungen zur Ausmittlung der Wahrheit zu unterstützen...und alles, was sie davon entdecken und in Erfahrung bringen, ohne den geringsten Vorbehalt, und ohne Rücksicht: welcher Parthey solches zum Nutzen oder Schaden gereiche, redlich und aufrichtig anzuzeigen.“ An kleineren Untergerichten wurde von der Bestellung von Assistenzräten abgesehen. Ferner wurde der Beruf der Justizkommissarien eingerichtet, die nur außerhalb des Gerichtes beraten sowie in der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in Notariatsfunktionen tätig sein sollten. Die vollständige Abschaffung des Advokatenstandes war nach kurzer Zeit nicht mehr haltbar. Die Assistenzräte wurden weder vom Publikum noch von den Juristen angenommen. Nach einer Anordnung von 1783 durften die Parteien „zu ihrer mehreren Beruhigung“ auch wieder mit Justizkommissaren vor Gericht erscheinen. Schon nach wenigen Jahren Radikalreform wurde die bisherige Tradition wieder aufgenommen und durften Justizkommissare sowohl außergerichtlich als auch vor Gericht auftreten, während die ungeliebte Einrichtung der Assistenzräte wieder rückgängig gemacht wurde.

König Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) führte seit 1786 die bisherige Justizpolitik fort. Die „Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten“ von 1793 enthielt auch Bestimmungen über Advokaten und Notare. Zum Amt der Justizkommissare wurden Referendare nach einer erneuten Prüfung zugelassen. Die Notwendigkeit von Justizkommissaren sah der Gesetzgeber darin, weil „die Unterthanen und Einwohner des Staats den Rath und die Assistenz eines Rechtsverständigen nicht entbehren können.“  Ihre Aufgabe war die gerichtliche Vertretung und außergerichtliche Beratung der rechtssuchenden Bevölkerung. In Gerichtsverfahren hatten sie „die Rechte ihrer Partheien mit Treue, Sorgfalt und unermüdeter Aufmerksamkeit wahrzunehmen; sich davon durch keine Menschenfurcht oder andere Nebenrücksichten abhalten zu lassen; besonders den Deputirten des Gerichts bei den Instruktionen fleißig zu kontrolliren“. Von Assistenzräten war keine Rede mehr. Zur Beschleunigung des Verfahrens wurde am Grundsatz des persönlichen Erscheinens der Parteien vor Gericht festgehalten, jedoch wurde diese Einrichtung bereits 1799 wieder zurückgenommen. Vom Staat wurde der Ort der Niederlassung und ihre Anzahl vorgeschrieben; die gesetzliche Vorschrift hierzu lautete: „An welchen Orten Justizkommissarien, und wie viele derselben an einem Orte zu bestellen, muß nach Erforderniß der Umstände, der Bevölkerung, des Verkehrs und Gewerbes, der häufiger oder seltener vorkommenden mehr oder minder wichtigen Prozesse, und der daraus sich ergebenden größern oder geringern Bedürfniß des Publici bestimmt; dabei aber dahin gesehen werden, daß es auf der einen Seite dem Publiko an einer hinlänglichen Auswahl solcher Männer, deren es sich in seinen Rechtsangelegenheiten bedienen könne, nicht gebreche, auf der anderen Seite aber auch durch eine zu große Vermehrung derselben, und den daraus entstehenden Mangel hinreichender Subsistenz, zu Erregung oder Unterhaltung der Streitsucht unter den Einwohnern, zu Betrügereien und Unterschleifen und zu anderen dergleichen unerlaubten Handlungen, wozu Nahrungslosigkeit und Noth mannigfaltigen Reiz enthalten, kein Anlaß gegeben werde.“ Eine Mindest- oder Höchstzahl von Justizkommissaren war vom Gesetzgeber nicht festgelegt, aber bis zum Jahre 1879 wurden in Preußen die Ernennungen durch die Verwaltung sehr zurückhaltend vorgenommen.

Ferner wurden Notariis publicis bestellt. Die Doppeleigenschaft von Anwaltsnotaren, die seitdem in den preußischen Gebieten fortgedauert hat, wurde hierin bestätigt. Das Notariat wurde Justizkommissaren mit längerer Berufserfahrung verliehen, auch in dem Bestreben, ihnen eine gesicherte Einkommensgrundlage zu geben. Es „erfordert dieses letztere Amt, außer der nöthigen Geschicklichkeit und gewöhnlich gutem moralischen Charakter, einen vorzüglichen Grad von Erfahrung, Geschäftskenntniß, und durch mehrjährige Beobachtung geprüft erfundenen Rechtschaffenheit und Zuverlässigkeit. Es sollen daher junge Leute, von denen man sich wegen dieses letztern Erfordernisses noch nicht so überzeugend versichert halten kann, vorerst nur als Justizkommissarien angesetzt, und ihnen das Notariat erst in der Folge, wenn sie sich dazu noch mehr qualificirt haben, anvertraut werden.“ Die Wartezeit schwankte zwischen einigen Monaten und wenigen Jahren.

Mit dem Allgemeinen Landrecht von 1794 und der Kriminal-Ordnung von 1805 erhielten die Justizkommissare wie die übrige Bevölkerung neue Vorschriften für das Zivil-, öffentliche und Strafrecht.

 

Die Städte-Ordnung von 1808, welche vor dem Hintergrund der Niederlage Preußens im Krieg gegen Frankreich 1806/1807 die Selbstverwaltung der Städte stärkte und aufgrund derer im Jahre 1809 die erste Stadtverordnetenversammlung in Spandau zusammentrat, führte die Gewaltenteilung zwischen Verwaltung und Justiz durch; soweit die Rechtspflege bisher städtisch gewesen war, wurde sie vom Staat übernommen, und alleine die Patrimonialgerichte auf dem Lande blieben noch bis 1849 bestehen. Nach dem Tode von Stadtrichter Gottfried Bernhard Lemcke, der mit 83 Jahren am 21.November 1808 in Spandau starb, rückte Johann Ludwig Hindenburg in dessen Stelle ein, der zuvor schon seit 1804 Lemcke vertreten hatte und auch erster Stadtrichter am Königlichen Stadtgericht Spandau mit der Gründung des Gerichts am 3.August 1809 wurde.

Am Berliner Stadtgericht waren seit 1786 bereits 18 Advokaten tätig; am Spandauer Stadtgericht war weiterhin noch kein Anwalt zugelassen. Benötigte die Spandauer Bevölkerung Beratung oder Vertretung in Rechtsangelegenheiten, hatte sie sich bis über das Ende des 18.Jahrhunderts hinaus an auswärtige Anwälte zu wenden.

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